Zwei junge Mädchen sitzen auf der Straße und unterhalten sich.

Aus den Vernetzungsstellen: Tanja Bolm und Christin Hornbruch

Quelle: pixabay © Pezibear

Das NQZ im Gespräch mit Tanja Bolm (Bild links), Leiterin der Vernetzungsstelle Kitaverpflegung Niedersachsen und Christin Hornbruch, Leiterin der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Nordrhein-Westfalen. Das Interview wurde im Juli 2021 geführt.

Ergänzend zur Kita- bzw. Schulverpflegung rücken Sie jetzt auch das Setting Kindertagespflege in den Fokus. Wie verstehen Sie Ihre Arbeit in Bezug auf diese Zielgruppe?

Christin Hornbruch:

Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen wissenschaftlichen Empfehlungen und deren praktischer Umsetzung vor Ort. Der Kern unserer Arbeit ist es, die Settings zu analysieren und in den Blick zu nehmen, um handlungsorientierte und zielgruppenspezifische Empfehlungen zu geben. Der aktuelle Ausbau unserer Zielgruppen um die Kindertagespflege ist im Rahmen der institutionellen Förderung der Vernetzungsstellenarbeit durch das Land NRW, insbesondere durch das Familienministerium NRW, ermöglicht worden.

 

Tanja Bolm:

Wir haben es hier mit einer eigenen Lebenswelt zu tun. Bestehende Handlungsempfehlungen müssen wir herunterbrechen auf eine familiennahe Betreuung, die überwiegend im Privathaushalt stattfindet. Dabei gilt es, Kindertagespflegepersonen in ihrem Betreuungsalltag praxisnahe Unterstützung anzubieten, denn sie sind in der Regel sowohl allein verantwortlich als auch Allrounder.

Wie gut haben Sie das Setting Kindertagespflege bereits kennengelernt?

Tanja Bolm:

Wir haben in Niedersachsen eine landesweite Befragung unter Kindertagespflegepersonen durchgeführt und alles rund um die Organisation und Qualität der Verpflegung beleuchtet. Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten Kindertagespflegepersonen Quereinsteiger ohne spezifische Vorbildung sind. In der Grundqualifizierung haben sie zwar etwas über Mahlzeitengestaltung gelernt, das betrifft aber eher Fragen der Hygiene. Informelle Ernährungsbildung findet statt, indem die Kinder z. B. in die Mahlzeitenvorbereitung eingebunden werden.

 

Dagegen wird am Mittagstisch vielfach assistiert:  das Essen wird überwiegend aufgetan, so dass sie in ihrer Wahrnehmung von Hunger und Sättigung weniger gut unterstützt werden. Formale Ernährungsbildung ist eher die Ausnahme. Die Befragung hat auch gezeigt, dass die Tagesmütter oder -väter sehr nah am Kind sind und deren Befindlichkeiten sehr gut einschätzen können. Darin liegt ein großes Potenzial.

 

Christin Hornbruch:

Entscheidende Unterschiede zur Lebenswelt Kita sind, abgesehen von der Großtagespflege und Kindertagespflege in angemieteten Räumen, die Rahmenbedingungen. Eine Kindertagespflegeperson, die zuhause Kinder betreut, benötigt auf ihre individuelle Situation zugeschnittene praktische Hilfestellungen in der Verpflegung und Ernährungsbildung. Es ist nicht immer klar abtrennbar, wo das Familienleben endet und die Profession beginnt und umgekehrt. Als Vernetzungsstelle haben wir in ersten Kontakten mit Kindertagespflege-Akteuren gelernt, dass wir die Zielgruppe unbedingt eigenständig betrachten und sie spezifisch ansprechen müssen. Es kommt auch auf die richtige Wortwahl an. Oft fühlt sich die Zielgruppe nicht ausreichend wahr- und ernstgenommen. Dafür brauchen wir alle mehr Sensibilität.

Mit welchen Strategien und thematischen Schwerpunkten möchten Sie die Akteure erreichen?

Christin Hornbruch:

Die Professionalisierung der Kindertagespflegepersonen ist ein wichtiger Punkt. Es wäre falsch anzunehmen, dass wir unsere etablierten Angebote für die Kita einfach auf die Kindertagespflege übertragen können. Wir sind gerade in der Konzeptionsphase für ein landesweites Beratungsangebot, das sich sowohl an Kindertagespflegepersonen als auch an Fachberatungen wendet. In einem ersten Schritt  werden wir die Ernährungsbildung und die Verpflegungsorganisation in den Blick nehmen. Aufgrund der Corona-Pandemie haben wir unser Beratungsangebot für Kitas und Schulen um digitale Formate erweitert – dies spielt uns jetzt positiv in die Karten. Unsere Strukturen für Online-Angebote sind gut erprobt, flexibel einsetzbar und könnten auch für Kindertagespflegepersonen sehr interessant sein.

 

Tanja Bolm:

 

Kindern können sehr viele lebenspraktische Kompetenzen bei der Vor- und Zubereitung von Mahlzeiten und beim Essen vermittelt werden. Daran lassen sich eigentlich alle Handlungsfelder der landesspezifischen Bildungspläne aufhängen: Ernährungsbildung, Bewegungsförderung, Motorik, Spracherwerb usw. Es handelt sich hier um eine lebensbegleitende Alltagsbildung, für die die Kindertagespflegepersonen entsprechende Kompetenzen brauchen. In Niedersachsen sind wir dabei, das Webangebot zu erweitern und im Rahmen eines IN FORM‑Projekts ein E‑Learning-Modul zur Verpflegungsgestaltung zu entwickeln, das  als berufsbegleitende Fortbildung offiziell anerkannt wird.

Ist aus Ihrer Sicht ein eigens auf die Zielgruppe zugeschnittener Qualitätsstandard erforderlich?

Tanja Bolm:

Sicher ist eine Unterstützungs- und Argumentationshilfe auf Basis eines schlanken, auf das Setting zugeschnittenen Standards, der die wichtigsten Empfehlungen für eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Verpflegung enthält, sehr sinnvoll. Notwendig ist ein gutes Wording, das einen unterstützenden und lebensweltorientierten Charakter symbolisiert. Viele der Rahmenbedingungen, die etwa der DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kitas skizziert, treffen auf die Kindertagespflege nur bedingt zu. Wir müssen außerdem berücksichtigen, dass die Kindertagespflegeperson pädagogische Fachkraft, Hauswirtschafts- und Betreuungskraft in einer Person ist, die während ihrer Arbeitszeit immer Kinder um sich hat, sich nach Feierabend bzw. am Wochenende weiterbildet und daher ganz einfache alltagspraktische Hilfestellung braucht.

 

Christin Hornbruch:

Strategisch und politisch betrachtet braucht es einen eigenen Qualitätsstandard, damit die Zielgruppe als eigenständig gehört wird. Damit verschiedene Akteure im Setting ein gemeinsames Verständnis entwickeln können, brauchen wir grundsätzlich eine gute Argumentations- und Wissensgrundlage, egal um welches Setting es sich handelt. Es braucht also ein offizielles Instrument, das die Ernährung und Ernährungsbildung in der Kindertagespflege wertig aufhängt. Dadurch findet auch eine anerkennende Gleichstellung mit dem Setting Kita statt.

Welche Strukturen können helfen, Ernährungsbildung in der Kindertagespflege stärker zu verankern?

Tanja Bolm:

Die Vernetzungsstellen Niedersachsen und NRW haben langjährige Erfahrung beim Aufbau von Beratungsstrukturen und in der zielgruppengerechten Ansprache von Akteuren im Setting Kita. Diese Erfahrung ist sehr wertvoll für den Aufbau analoger Strukturen in der Kindertagespflege. In Niedersachsen findet derzeit ein intensiver Einstieg ins Setting statt, um das Thema zu erschließen. Wir haben bereits erste Bande geknüpft. Dabei ist das Gute-KiTa-Netzwerk des NQZ eine wertvolle Unterstützung. Wir wollen Akteure nicht nur sensibilisieren, sondern in ihrem qualitativen Anspruch unterstützen, damit Ernährungsbildung einfacher wird. Im Grunde ist schon einiges da, wir müssen es in erster Linie anpassen und miteinander verknüpfen.

 

Christin Hornbruch:

In NRW treibt uns um, das Thema auf Landesebene weiter zu stärken, besonders in den Bildungsgrundsätzen und im Kinderbildungsgesetz. Es braucht mehr Vernetzung und Erfahrungsaustausch. Ministerien, (Landes-)Jugendämter, Verbände, sowie bestehende Netzwerke und Arbeitsgruppen auf Landesebene – alle müssen einbezogen werden. Auf Bundesebene hilft das Gute-KiTa-Netzwerk des NQZ, das Thema insgesamt präsenter zu machen. Wir wollen Essen und Trinken in der Kindertagespflege sichtbarer machen, z. B. durch einen jährlichen Aktionstag ähnlich der Tage der Kita- und Schulverpflegung. Wir wollen Leuchttürme schaffen, an denen sich andere orientieren können. Dabei kommt es auch auf mehr Professionalität an, z. B. mit Blick auf die Fachberatungen. Es müssen nicht gleich alle Schritte auf einmal gemacht werden. Es wäre schon ein erster guter Schritt, wenn Ernährungsbildung mit Bewegungs- und Sprachförderung gleichrangig bewertet würde.

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