Das NQZ im Gespräch mit Prof. Dr. Stephanie Hagspihl, Professorin für Catering und Food Supply, Hochschule Fulda, Fachbereich Oecotrophologie. Das Interview zum Personal- und Fachkräftemangel in Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie und den möglichen Auswirkungen auf die Qualität der Kita- und Schulverpflegung in Deutschland fand im März 2023 statt.
Im Vergleich zu anderen Segmenten in der Gemeinschaftsverpflegung: Inwieweit trifft der Personal- und Fachkräftemangel auch das Segment Education?
Wir haben es mit einem erheblichen Personal- und Fachkräftemangel zu tun und zwar nicht nur im Außer-Haus-Markt, sondern bundesweit über sehr viele Branchen hinweg. Bis 2019 konnte die Branche der Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie einen stetigen Zuwachs an sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten verzeichnen. Dann kam der Einbruch durch die Pandemie und ein Rückgang der Beschäftigtenzahlen um 16 %. Viele Einrichtungen waren in der Pandemie von Schließungen betroffen, auch Kitas und Schulen. In dieser Zeit sind Personal- und Fachkräfte abgewandert, weil es gute Beschäftigungsmöglichkeiten auch in anderen Branchen gibt. Durch die Kita- und Schulschließungen und die schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen haben Kita- und Schulcaterer massiv an Personal verloren. Wir müssen außerdem seit Jahren einen Rückgang der Auszubildenden-Zahlen in allen gastgewerblichen Berufen feststellen. Das betrifft nicht nur den Ausbildungsberuf Koch/Köchin, sondern auch andere relevante Berufe, wie z. B. Hauswirtschafter*innen. Zusammengefasst führt das dazu, dass wir in der Branche insgesamt einen Mangel an Fach- und Arbeitskräften haben, der sich entsprechend auch auf den Bereich Education in Kita und Schule auswirkt. Wir sehen einen eklatanten Mangel.
Lässt sich dieser Mangel in Zahlen und Fakten ausdrücken?
Das ist ein Problem: Wir haben keine belastbaren Zahlen, die zur Fachkräftesituation in der Kita- und Schulverpflegung konkret Auskunft geben. Wir haben nur Zahlen für die gesamte Branche über alle Segmente der Gemeinschaftsverpflegung hinweg. Es ist eine Black Box, in die wir schauen. Wir brauchen unbedingt entsprechende Forschung, um die Situation darzustellen. Benötigt werden Zahlen zur Ausbildungs- und Personalsituation der Speisenanbieter von Kita- und Schulmahlzeiten, also von Caterern, Kommunen und anderen Trägern. Wir haben es mit vielen unterschiedlichen Trägern zu tun, die die Mittagsverpflegung organisieren. Daher haben wir keinerlei Überblick über die Situation. Forschung ist außerdem notwendig, um das Bildungsniveau der Arbeitskräfte in der Kita- und Schulverpflegung insgesamt einzuordnen, damit wir Qualifizierungsbedarfe ableiten können.
Wie bewerten Sie den Ausbildungsgrad der Schul- und Kita-Caterer in Deutschland?
Meine Einschätzung ist, dass bei den Fach- und Führungskräften in den Küchen sehr unterschiedliche Kenntnisse vorliegen. Es gibt durchaus sehr qualifizierte Speisenanbieter, sei es in den Unternehmen oder in den Einrichtungen vor Ort, die ihrem Personal regelmäßig Weiterbildungen anbieten, um den Anforderungen gerecht zu werden, z. B. hinsichtlich Nachhaltigkeit oder Ernährungserfordernissen von Kindern. Aber: Es gibt aber auch viele Unternehmen und Einrichtungen, in denen fachfremde Führungspersonen tätig sind. Das ist problematisch. Erfreulicherweise wurde die Ausbildungs-Verordnung für den Beruf Koch/Köchin im letzten Jahr novelliert. Die Ausbildungsinhalte sind jetzt auch auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Es wird aber noch eine Zeit dauern, bis sich das in der Praxis bemerkbar macht.
Welche Risiken sind mit dem Personal- und Fachkräftemangel für die Qualität der Kita- und Schulverpflegung verbunden?
Die Gefahr besteht, dass Schulen und Kitas gar nicht mehr beliefert werden können, weil es gerade im ländlichen Raum keine Speisenanbieter mehr gibt. In diesen Regionen kann es auch für größere Unternehmen unattraktiv sein, weil die Verpflegungszahlen im Vergleich zum Aufwand gering sind. Die andere Perspektive ist, dass Träger vermehrt vor Eigenregie zurückschrecken, weil sie befürchten müssen, in Zukunft kein Personal mehr zu finden. Wenn dieses Personal nicht mehr zur Verfügung steht, bleibt den Trägern akut fast nichts anderes übrig, als vorgefertigte Waren einzusetzen oder die Speisenproduktion auszulagern.
Was bedeutet das für die Branche der Speisenanbieter?
Es wird eine Zentralisierung geben auf Betriebe, die die Verpflegungsdienstleistungen hochgradig professionell anbieten, weil die kleinen Unternehmen die vielfältigen Anforderungen bei geringen Preisen und fehlendem Personal häufig nicht mehr umsetzen können. Und das ist natürlich negativ, weil das die Zahl der Anbieter insgesamt reduzieren wird. Kleinere Betriebe vor Ort in den Kommunen oder im Landkreis werden es auch deshalb zunehmend schwer haben, weil sie den organisatorischen Überbau oder notwendige Qualifizierungsmaßnahmen, nicht mehr bewältigen können.
Wie könnte kommunale Eigenregie dem entgegenwirken?
Mit der Eigenregie besteht eine große Chance, Fach- und Personalkräfte auszubilden und langfristig zu halten. Kommunen können die Rahmenbedingungen für die Arbeitsplätze selbst gestalten. Sie haben zudem viel mehr Einflussmöglichkeiten auf die Angebotsqualität. Es gibt durchaus viele Leuchtturmprojekte, wo Kita- und Schulträger damit sehr erfolgreich sind. Ich sehe bei kommunaler Eigenregie sehr viel Potenzial in der Fachkräftegewinnung, über das etwa Speisenanbieter nicht verfügen, weil sie unter anderen wirtschaftlichen Bedingungen arbeiten. Zudem lassen sich in Eigenregie viele Schnittstellen ganz anders bedienen. So könnten etwa Dienstleistungen wie Ernährungsbildung oder Partizipation in Kitas und Schulen mit eigenem Personal viel besser verknüpft werden, wenn zum Beispiel Hauswirtschaftskräfte befähigt werden, Kinder an bestimmten Aufgaben im Sinne der Ernährungsbildung zu beteiligen. Das würde diesen Beruf aufwerten und attraktiver machen. Benötigt werden dafür aber Verpflegungskonzepte, die entsprechende Qualitätsstandards setzen. Daran scheitern aber leider viele Kommunen, weil häufig auch Fachkompetenz bei den Trägern fehlt. Ich bin deshalb sehr dafür, dass jede Kommune eine eigene oecotrophologische Fachkraft hat, die bei allen Verpflegungsfragen den Hut aufhat und intrinsisch eine nachhaltige und gesundheitsförderliche Verpflegung organisiert. Diese Fachkraft ist in der Lage, entsprechende Rahmenbedingungen zu formulieren, die dann kommunalpolitisch beschlossen und von der Verwaltung umgesetzt werden können.
Was lässt sich gegen den Personal- und Fachkräftemangel grundsätzlich tun?
Speisenanbieter und Träger müssen jetzt stärker in Ausbildung, Qualifizierung und Mitarbeitergewinnung investieren. Wir müssen junge Menschen für den Beruf begeistern und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass sich die hohe Abbrecherquote in der Ausbildung verringert. Dafür braucht der Beruf ein besseres Image und gute Ausbildungsbedingungen. Auch eine vergleichsweise schlechte Bezahlung kann dazu führen, dass qualifizierte Auszubildende und Mitarbeitende abwandern. Eine passgenaue Unterstützung und ein wertschätzender Umgang kann dafür sorgen, dass Auszubildende durchhalten, einen guten Abschluss machen und dem Betrieb dann treu bleiben. Wichtig ist auch, die vorhandenen Arbeitskräfte zu halten. Die Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird immer loser, denn die Bereitschaft, den Arbeitsplatz zu wechseln ist insbesondere bei den Jüngeren hoch. Wir haben heute einen Arbeitnehmermarkt: Wer woanders bessere Arbeitsbedingungen findet, der wechselt. Konkret erfordert das, Arbeitsklima und Arbeitsbedingungen zu verbessern, Weiterbildungs- und Karrierechancen zu ermöglichen und über gute Führung Mitarbeitende an sich zu binden.
Wie können Akteure außerhalb der Branche zur Professionalisierung der Kita- und Schulcaterer beitragen?
Hier müssen Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen greifen:
- An die Politik lautet die Forderung, die Arbeitsbedingungen für alle zu verbessern, die Verpflegung für Kinder und Jugendliche anbieten. Als erstes ist hier ein beitragsfreies Mittagessen zu nennen. Eine Kostenübernahme kann dazu beitragen, verlässlichere Arbeitsplätze anzubieten, sowohl bei den Speisenanbietern als auch direkt in den Einrichtungen. Die Finanzierung sollte so gestaltet sein, dass finanzielle Spielräume für Weiterbildung und Qualifizierung überhaupt vorhanden sind. Denn wir müssen uns klarmachen, dass die Margen bei den Kita- und Schulcaterern sehr gering sind.
- Ich wünsche mir außerdem konkrete Vorgaben. Der Bundesernährungsminister hat die Hebelwirkung der Gemeinschaftsverpflegung für die Ernährungswende und insbesondere die Relevanz der Kita- und Schulverpflegung betont. Deshalb wäre es folgerichtig, verpflichtende Rahmenbedingungen zu formulieren, die beschreiben, welche Angebote gemacht werden sollen und eine entsprechende Qualifizierung der Mitarbeitenden zu ermöglichen.
- Auf Trägerebene ist es notwendig, die Möglichkeiten des Vergaberechts und der Vertragsgestaltung besser zu nutzen und in Ausschreibungen die notwendige Personalqualifikation bei den Speisenanbietern zu verorten.
- Auch bei den Trägern selbst muss Fachqualifikation vorhanden sein, damit Qualitätssicherung stattfinden kann. Hier ist mein Eindruck, dass bei den Trägern in dieser Hinsicht Nachholbedarf besteht und noch zu häufig fachfremde Menschen in Entscheiderpositionen sitzen, denen das spezifische Wissen rund um die Gestaltung einer zielgruppengerechten, gesundheitsfördernden und nachhaltigen Verpflegung in der Kita- und Schulverpflegung fehlt. Nicht zuletzt ist es wünschenswert, dass die Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung weiter gestärkt werden, so dass sie Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten auch für Speisenanbieter entweder selbst anbieten oder entsprechende Transparenz zu Weiterbildungsangeboten schaffen können. Ich glaube, dass ein Angebot kostenloser und praxisorientierter Fortbildungen für Speisenanbieter durch die Vernetzungsstellen insbesondere für kleinere Betriebe interessant ist, die das von sich aus nicht leisten können. Wichtig wäre zudem, die Qualifizierungsmaßnahmen so zu konzipieren, dass auch sehr kleine Betriebe die Möglichkeit haben, eine*n Mitarbeitende*n zur Weiterbildung zu schicken.
Wie könnten Weiterbildungsmaßnahmen für Speisenanbieter aussehen?
Wir brauchen unterschiedliche Qualifizierungsbausteine, die sich einerseits an Personen ohne Ausbildung und andererseits an angelernte Kräfte richten, die bereits fachspezifische Berufserfahrung haben. In der Hauswirtschaft gibt es so etwas bereits: Je nach Vorkenntnissen führt der Abschluss verschiedener Module zu entsprechenden Abschlüssen. So etwas kann ich mir auch für die Gemeinschaftsverpflegung vorstellen. Das wäre auch attraktiv für Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland, denen man damit konkrete Qualifizierungsangebote machen könnte. Insgesamt brauchte es einen Qualifizierungsrahmen für die an der Verpflegung in Kitas und Schulen Beteiligten. Das wäre aus meiner Sicht etwas, was das NQZ auf Bundesebene initiieren oder als Auftrag für sich annehmen könnte.