Ein bunt gekleidetes Kleinkind mit Sonnenhütchen steht neben seinem Kinderwagen, vor ihm kniet seine sommerlich gekleidete Mutter. Sie reicht dem Kind eine Babyflasche mit einem Getränk.
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Relevanz der Kita- und Schulverpflegung für die Bekämpfung von Ernährungsarmut

Quelle: pixabay © reksik004

Krisenzeiten haben große finanzielle Auswirkungen insbesondere für armutsbetroffene Familien. Eine gesundheitsförderliche Ernährung ist für viele dann häufig nicht oder nur noch schwer zu realisieren. Inwieweit die Kita- und Schulverpflegung hier positiv wirken kann, diskutierte das NQZ auf dem Public-Health-Kongress „Armut und Gesundheit“.

Mit einem Workshop hat sich das NQZ am diesjährigen Online-Kongress Armut und Gesundheit beteiligt, um die Relevanz der Kita- und Schulverpflegung für armutsbetroffene Familien zu diskutieren. Der Kongress ist eine regelmäßig in Deutschland stattfindende Public-Health-Veranstaltung, die ein Problembewusstsein für die gesundheitliche Ungleichheit schaffen will.

Dr. Margareta Büning-Fesel, Leiterin des Bundeszentrums für Ernährung, begrüßte die Workshop-Teilnehmenden am 7. März 2023. Durch die Schulschließungen im Zuge der Corona-Pandemie und die derzeitigen inflationsbedingten Preissteigerungen sei eindrücklich ins Bewusstsein gerückt, dass viele Familien auf die Mittagsverpflegung ihrer Kinder in Kita und Schule angewiesen seien, so Büning-Fesel. Besonderer Druck liege auf armutsbetroffenen Familien, zunehmend aber auch auf Familien aus der Mittelschicht. Vielfach bestehe kein finanzieller Spielraum für eine gesundheitsförderliche Ernährung.

Jedes 5. Kind von Armut betroffen – Kita- und Schulverpflegung als wirksames Instrument zur Entlastung armutsgefährdeter Familien

Zum Workshop-Auftakt sensibilisierte Ann-Cathrin Beermann, Leiterin des NQZ, für die verschiedenen Dimensionen der Ernährungsarmut. Ein stark begrenzter Zugriff auf Lebensmittel, daraus resultierende Fehl- und Mangelernährung behindere letztlich – auch langfristig – soziale und ökonomisch gleichberechtigte Teilhabe, so Beermann. Zur Ernährungsarmut seien nur wenige Daten in Deutschland verfügbar, weshalb auf andere Indikatoren zurückgegriffen werden müsse: Hierzulande leben 2,88 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren, die als armutsbetroffen oder armutsgefährdet gelten; das entspricht einem Anteil 20,8 %. Als problematisch bewertete Beermann, dass derzeitige und geplante Sozialleistungen inflationsbedingte Preissteigerungen bei Lebensmitteln kaum auffangen würden. Kita- und Schulverpflegung könne daher sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche wenigstens eine gesundheitsförderliche Mahlzeit am Tag essen. Darüber hinaus entlaste Kita- und Schulverpflegung das Haushaltsbudget betroffener Familien. Evaluationen kostenloser Schulverpflegungsprogramme zum Beispiel in Schweden zeige, dass positive Effekte bis ins Erwachsenenalter reichten.

Schutz vor Ernährungsarmut durch kostenfreie Schulverpflegungsprogramme – Unterfinanzierung verstärkt Benachteiligung

Wie sich die Relevanz kostenloser Schulmahlzeiten für einkommensschwache Familien darstellt, hat Rebecca O’Connell, Professor of Food, Families and Society an der Universität Hertfordshire Großbritannien untersucht. Die Expertin stellte in einem Impulsvortrag die Ergebnisse ihrer vergleichenden Fallstudie vor, die sie in Norwegen, Portugal und Großbritannien vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise (2008) durchgeführt hat. Ein internationales Team aus Wissenschaftler*innen hat dafür mit einem Mehr-Methoden-Ansatz drei ineinandergreifende Ebenen analysiert: Staat, Kommune und Haushalt (Makro-, Meso- und Mikroebene). Konkret hat sich die Untersuchung mit einkommensschwachen Familien mit Kindern im Alter von 11 bis 15 Jahren auseinandergesetzt:

  • In Portugal hat jedes schulpflichtige Kind zwischen 6 und 18 Jahren Anspruch auf eine Schulmahlzeit, die sich an Ernährungsstandards orientieren muss. Je nach Familieneinkommen werden die Kosten für die Schulmahlzeiten voll, zur Hälfte oder gar nicht subventioniert.
  • In Großbritannien haben Kinder im Alter bis sieben Jahren in Abhängigkeit der Einkommenssituation der Eltern Anspruch auf kostenlose Schulmahlzeiten. Für ältere Kinder gilt außerdem der Bezug von Sozialleistungen als weiteres Kriterium für die Förderfähigkeit.
  • In Norwegen hat sich seit den 1960er Jahren durchgesetzt, dass Kinder und Jugendliche ihr Lunchpaket (kalte Brotmahlzeit) selbst in die Schule mitbringen. Nur eine Minderheit der Schulen bietet überhaupt Schulmahlzeiten an. 2015 wurden aktualisierte Leitlinien für die Schulverpflegung in Grundschulen und Horten in Kraft gesetzt.


Die Wissenschaftlerin kommt zu dem Schluss, dass öffentlich finanzierte und gesundheitsförderliche Schulmahlzeiten Kinder vor Ernährungsarmut schützen können. Dies sei auf Makroebene besonders am Beispiel Portugals im Vergleich zu den anderen Ländern deutlich geworden. Doch sei allein die Bereitstellung von Schulmahlzeiten im Rahmen nationaler Richtlinien nicht ausreichend für die Ernährungssicherheit. Die Studie mache deutlich, dass eine unterfinanzierte und wenig regulierte Schulverpflegung die Erfahrung von Kindern hinsichtlich Benachteiligung und Ausgrenzung weiter negativ verstärke, so O´Connell. Um niemanden zu stigmatisieren, müsse für alle betroffenen Kinder ein gleicher Zugang zu den Mahlzeiten gewährleistet sein.

Erfahrungsbericht Berliner Modell – Kostenfreie Schulmahlzeiten in Grundschulen

Sabine Schulz-Grewe, Leiterin der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Berlin, stellte im Anschluss das Berliner Modell vor. Gute, gesundheitsförderliche und nachhaltige Strukturen bestehen für das Schulmittagessen in Berliner Grundschulen (Klasse 1 – 6), das seit 2019 für Eltern kostenbeteiligungsfrei ist. Die Kostenbefreiung ist mit entsprechenden Maßnahmen verbunden: Unter anderem muss sich die Schulverpflegung am DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen orientieren. Ab Klasse 7 entfallen diese Subventionen, wobei Schüler*innen, die z. B. Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben, ein kostenfreies Schulmittagessen erhalten können. Für Kinder in Kita und Kindertagespflege bzw. deren Eltern ist die Betreuung seit 2018 kostenfrei. Für das Mittagessen zahlen die Eltern einen einheitlichen Verpflegungsanteil von 23 Euro je Monat, der jedoch für einkommensschwache Familien bzw. Bezieher*innen bestimmter Transferleistungen auch entfallen kann.

Diskussion und Fazit

In der anschließenden Diskussion wurde die in Deutschland fehlende Datenlage nochmals sehr deutlich. Ein qualitativ hochwertiges und gesundheitsförderliches Menüangebot ist nicht nur ernährungs- und gesundheitspolitisch relevant, sondern auch als sozialpolitisches Instrument zu begreifen. In anderen Ländern (wie z. B. USA), in denen der Anteil armutsbetroffener Kinder größer ist, wird dieser Zusammenhang bereits länger sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Raum behandelt. Die in diesem Workshop diskutierten Länderbeispiele zeigen, dass eine kostenfreie Schulverpflegung ein effektiver Schutz vor Ernährungsarmut sein kann.

Lesenswertes zur News

Quelle

O’Connell, Rebecca, Brannen, Julia, Ramos, Vasco, Skuland, Silje, Truninger, Monica: School meals as a resource for low-income families in three European countries: a comparative case approach.  European Societies, Volume 24, Issue 3, 2022. https://doi.org/10.1080/14616696.2022.2078498